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Das Mittelaltermuseum im Klassenzimmer

Wie kann das Mittelaltermuseum ins Klassenzimmer gebracht werden? Funktionieren Vermittlungskonzepte, die für die Umsetzung im Museum gedacht waren und ausgehend von musealen Ausstellungsobjekten erstellt wurden, auch außerhalb des Museums? Diese und ähnliche Fragen haben sich die beiden Dozentinnen Julia Siwek von der Älteren Deutschen Literaturwissenschaft und Christina Böhmländer von der Deutschen Sprachwissenschaft gestellt.  Sie hatten bereits am 1. Juli 2022 im Oberhausmuseum auf der Veste Oberhaus in Passau im Rahmen eines „Mittelaltertags“ die im Kooperationsseminar „Höfische Lebensformen“ von Studierenden entwickelten Vermittlungskonzept einem ersten Praxistest unterzogen (hier nachzulesen: https://blog.dilab.uni-passau.de/mittelalter-einmal-ganz-anders-das-skill-de-seminar-hoefische-lebensformen-brachte-die-lehrkraeftebildung-an-den-lernort-museum/): Drei vierte Klassen der Kunst-Grundschule Haidenhof aus Passau hatten die Burg besucht und die sechs Stationen bei einem Rundlauf ausprobiert. Die Schülerinnen und Schüler konnten in der historischen Atmosphäre der Veste Oberhaus u. a. mithilfe authentischer Ausstellungsobjekte das Leben im Mittelalter kennenlernen und begreifen. Nach diesem erfolgreichen Testlauf sollten die erprobten Vermittlungskonzepte nun in eine andere Lernumgebung gebracht werden.

Der Lernort Museum – in diesem Fall eine mittelalterliche Burg – strahlt von Haus aus ein Faszinationspotenzial aus: Der Unterricht findet nicht im gewohnten Umfeld des Klassenzimmers statt, sondern an einem außerschulischen Lernort. Das Mittelalter begegnet Kindern bereits von früh an  – auch außerhalb der Schule – u. a. durch die Darstellung in Medien oder Festivitäten, die versuchen, ein bestimmtes Bild vom Mittelalter nachzuempfinden. Dadurch besitzen sie bereits Vorwissen, das aktiviert wird, sobald sie die Burg betreten, und auf dem aufgebaut werden kann. Emmi Federhofer von der Abteilung Bildung und Vermittlung im Oberhausmuseum Passau beschreibt Burgen als versteinerte Zeugnisse, die an die Epoche Mittelalter erinnern – die Veste Oberhaus selbst wird nicht umsonst auch als das größte Exponat des Museums bezeichnet. Historische Museen bieten mit authentischen Ausstellungsobjekten in historischer Umgebung außerdem die Chance für Realbegegnungen und das Nachvollziehen der höfischen Kultur, des Herrschaftslebens etc. Dabei besteht die Möglichkeit, Kinder mit unterschiedlichem Wissensstand abzuholen und ihnen einen Zugang zur behandelten Thematik zu eröffnen. Diese Lernumgebung bietet Raum für entdeckendes und handlungsorientiertes Lernen und ist gleichzeitig motivierend.

Im ersten Praxistest konnten die Dozentinnen und die Seminarteilnehmerinnen diese Eigenschaften des Oberhausmuseums für das Gelingen ihrer Vermittlungskonzepte nutzen. Sie bezogen die einzelnen fokussierten Ausstellungsstücke in ihre Station ein und nutzten die historische Lernumgebung für die Aktivierung der Schülerinnen und Schüler. Sie konnten auf der Faszination der Kinder für das Mittelalter und die mit dem außerschulischen Lernort einhergehende Motivation aufbauen und nutzten diese, um den Kindern einen Zugang zur Thematik zu ermöglichen sowie mit ihnen auf Entdeckungsreise zu gehen. So befanden sich die Kinder auf einmal in einer mittelalterlichen Schreibstube, erkundeten ausgehend von diversen Ausstellungsstücken – einer Votivkrone, einem Kettenhemd, mit Karies befallenen Zähnen, Würfeln sowie einem Teller und Löffel aus Holz – Elemente höfischen Lebens und lösten verschiedenste Aufgabenstellungen, die diese Objekte aus sprachgeschichtlicher und literarischer Perspektive beleuchteten.

Jedoch ist es im Schulalltag nicht immer möglich, mit Schülerinnen und Schülern außerschulische Lernorte wie ein Museum aufzusuchen. Somit war ein weiteres Ziel der beiden Dozentinnen Julia Siwek und Christina Böhmländer, dass der „Mittelaltertag“ mit seinen Stationen außerhalb des Lernorts Museum, im Klassenzimmer umgesetzt werden kann. Dafür besuchte das Team zusammen mit drei Studentinnen am 9. November 2022 die Grundschule in Neuhaus am Inn, um dort das Klassenzimmer der vierten Jahrgangsstufe sowie drei weitere Räume in ein Mittelaltermuseum zu verwandeln. Wie beim ersten Praxistest im Oberhausmuseum sollten die Schülerinnen und Schüler wieder für die Thematik begeistert werden, indem sie das Mittelalter von verschiedenen Seiten her erkunden können. Wieder sollten sie ihr Vorwissen einbringen, aktiv mitwirken und sich teils spielerisch, teils entdeckend und handlungsorientiert mit dem Thema beschäftigen. Zudem war es ein Anliegen, dass sie neue Einblicke und Erkenntnisse erlangen sowie Aha-Momente erleben. Sie sollten sich musealen Ausstellungsstücken annähern und erkennen, dass diese Zeugnisse der mittelalterlichen Lebensweisen sind. Dabei sollte ein Raum für Fragen, eigene Beiträge und Diskussionen eröffnet werden.

Da diese zweite Erprobung somit außerhalb des Lernorts Museum stattfand, mussten im Vorfeld einige Aspekte in der Planung und späteren Durchführung in der Schule berücksichtigt werden: Zum einen benötigten die Kinder nun eine historische und lokale Verortung und Kontextualisierung, zum anderen war es sinnvoll, die Kinder auf die Thematik einzustimmen, indem die Atmosphäre einer Burg ins Klassenzimmer geholt wird. Da im Klassenzimmer andere technische und methodische Möglichkeiten zur Verfügung stehen als in einer mittelalterlichen Burg, konnten die Dozentinnen und Studentinnen hierbei vermehrt auf digitale Werkzeuge zurückgreifen: Neben einer historischen Verortung des Mittelalters mithilfe einer Zeitleiste konnte der für das Seminar programmierte OberhausViewer genutzt werden, um eine Rüstung aus dem Oberhausmuseum digital ins Klassenzimmer zu bringen. Zusätzlich wurde das bereits im Internet bestehende Angebot eines virtuellen Rundgangs durch die Wartburg (https://www.wartburg.de/de/die-wartburg/burgrundgang.html) genutzt, um die Schülerinnen und Schüler noch weiter einzustimmen bzw. ihnen das Innere und Äußere einer Burg mit seinen Funktionen zu zeigen. An den Stationen selbst konnte das Fehlen der Ausstellungsstücke erneut sowohl digital durch den OberhausViewer als auch analog durch entsprechende Ausdrucke ausgeglichen und so eine Veranschaulichung gewährleistet werden. Die Ausdrucke und der OberhausViewer boten zudem den Vorteil, dass die Schülerinnen und Schüler Details besser erkennen konnten und allgemein eine bessere Sicht auf die Gegenstände hatten als vor den Vitrinen auf begrenztem Raum im Museum. Diese Medien und Medienprodukte konnten zielgerichtet und sinnvoll zum Austausch, zur Veranschaulichung und zur Informationsgewinnung verwendet werden. Der Umstand, dass die Schule eine für die Schülerinnen und Schüler vertraute Lernumgebung ist, sowie die – im Gegensatz zu einer großen Burg – kurzen Laufwege, ermöglichten eine zeitliche Entspannung an den einzelnen Stationen und boten insgesamt mehr Raum für Diskussionen und den Einbezug von Schüleräußerungen. 

Es hat sich für das Dozentinnenteam gezeigt, dass die entwickelten Vermittlungskonzepte aufgrund dieser Vorüberlegungen und Anpassungsarbeiten problemlos in einer schulischen Lernumgebung umgesetzt werden können. Die im Rahmen des Seminars „Höfische Lebensformen“ entstandenen und erprobten Vermittlungskonzepte sollen demnächst in Form eines „digitalen Materialkoffers“ – sozusagen eines „Mittelaltermuseums im Koffer“ – Lehrkräften zur freien Umsetzung im Unterricht zur Verfügung stehen. Dafür werden noch diverse weitere Anpassungsarbeiten und Alternativen bzgl. der Durchführung erfolgen. Beispielsweise sollen die Vermittlungskonzepte auch einzeln im Rahmen einer Unterrichtseinheit von Lehrkräften angeboten werden können, ohne dass diese gezwungen sind, einen ganzen „Mittelaltertag“ mit einem Stationenrundlauf zu organisieren.

Regine Treitinger, stellvertretende Schulleiterin der Grundschule Neuhaus am Inn und Klassenlehrerin der vierten Klasse, die am „Projekttag Mittelalter“ teilgenommen hat, freut sich darauf, den fertiggestellten „Koffer“ selbst auspacken zu dürfen und resümiert den erlebten Projekttag:

Die Kinder konnten am Projekttag das Mittelalter mit mehreren Sinnen und aus verschiedenen Blickwinkeln begreifen. Sie wurden in die Stationen einbezogen und konnten aktiv mitwirken. So konnten sie im Rollenspiel die Esskultur an einem bischöflichen Hof erleben, ihr Wissen beim Rätseln einbringen, sie konnten spielerisch etwas über die Freizeitgestaltung im Mittelalter lernen und – als sie mit einem Federkiel schreiben durften – nachvollziehen, wie mühsam z. B. auch das Anfertigen von Handschriften war. Die Kinder hatten viel Freude daran, ihr Vorwissen einzubringen und Neues zu lernen. Allen hat der Tag sehr viel Spaß gemacht.

Regine Treitinger

Weitere Informationen zum Kooperationsseminar und den abschließenden Mittelaltertag finden sich hier: https://blog.dilab.uni-passau.de/mittelalter-einmal-ganz-anders-das-skill-de-seminar-hoefische-lebensformen-brachte-die-lehrkraeftebildung-an-den-lernort-museum/ oder in der vierten Folge von „Mit und Über“, dem „Podcast zur Lehrkräftebildung und Digitalisierung an der Universität Passau“ – auf Spotify, Vimeo und Apple Podcasts bzw. über diesen Blogbeitrag:
https://blog.dilab.uni-passau.de/der-skill-de-podcast-zur-lehrkraeftebildung-und-digitalisierung-ist-online/

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