Schülerinnen und Schüler aufs Leben vorzubereiten, also den Begriff „Lebenslanges Lernen“ ernst zu nehmen, bedeutet auch Lernende zu befähigen schrittweise die Verantwortung für das eigene Lernen selbst zu übernehmen. Angesichts unserer vielfältigen, von Ablenkung und Desorientierung gefährdeten Welt erscheint dies eine beinahe schon existenzielle Schlüsselkompetenz für gelingendes Leben zu werden. Eine zentrale Antwort von schulischen Bildungsakteuren kann die Etablierung des Konzepts des Selbstregulierten Lernens in die eigene Schulkultur sein.
Dieser Blogbeitrag ist zu verstehen als erster Schritt in dieses Themenfeld. Er möchte interessierten Lehrkräften sowie auch Eltern, zunächst die Relevanz dieses Konzeptes näher bringen und dafür knapp den wissenschaftlichen Hintergrund sowie ein zentrales Modell zum Selbstregulierten Lernens vorstellen. Der Beitrag schließt mit praxisnahen Beispielen, wie Lehrkräfte und Eltern gemeinsam Selbstreguliertes Lernen (SRL) fördern können.

Warum eigentlich – was hat das mit mir zu tun?
Oder auch was haben Selbstregulationskompetenzen mit Wrestlingfiguren aus den frühen 90ern zu tun?
Prof. Friesike erklärt in diesem kurzweiligen Video, warum Selbstregulationskompetenzen von großer Bedeutung nicht nur für die Schüler*innen sind, sondern auch für uns als Erwachsene!
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Ok, ich hab verstanden – ich brauche es aber etwas „seriöser“!
Selbstreguliertes Lernen, auch selbstgesteuertes Lernen, ist ein Konzept aus der pädagogischen Psychologie und wurzelt in der Idee, dass Lernende nicht nur Informationen verarbeiten. Es bezeichnet darüber hinaus den aktiven Gestaltungsprozess, bei dem Lernende ihre Lernaktivitäten und -ziele eigenständig lenken, ihren Lernfortschritt kontinuierlich überwachen und sich selbst motivieren. Sie übernehmen also aktiv die Steuerung ihres Lernprozesses. Dazu gehört, sich Ziele zu setzen und zu planen, wie sich diese effektiv erreichen lassen. Hierbei berücksichtigen und optimieren selbstreguliert Lernende auch äußere Umstände, wie etwa die Geräuschkulisse rund um ihren Lernplatz [oder die Frage nach sinnvollen Ressourcen] (Boekaerts, 2002; Schunk & Zimmermann, 1994; Winne, 2005).
Schüler*innen können in ganz unterschiedlichen Formaten selbstreguliert lernen, etwa im Zuge des Regelunterrichts (z. B. als 20-minütiger Block innerhalb einer Unterrichtsstunde) oder über längere Arbeitsphasen (z. B. Projektwochen).
Selbstreguliertes Lernen gilt als Schlüsselkompetenz, um Lernziele eigenständig zu erreichen und lebenslang zu lernen. Beim selbstregulierten Lernen bedienen sich die Lernenden verschiedener kognitiver, metakognitiver und motivational-affektiver Lernstrategien.
Quelle: Selbstreguliertes Lernen fördern – Lernstrategien im Unterricht erfolgreich vermitteln von Kaley Lesperance, Yvonne Holzmeier, Simon Munk, Doris Holzberger unter der Lizenz CC BY-NC-SA 4.0.
Wie diese Lernform sowohl Lehrende entlasten als auch Lernende stärken kann, erklärt Prof. Ferdinand Stebner im Magazin Schulmanagement: https://www.campus-schulmanagement.de/magazin/selbstreguliertes-lernen-ein-schluessel-fuer-zeitgemaessen-unterricht-ferdinand-stebner

Ok, habe grundsätzlich verstanden! Aber die Schulen sind doch ohnehin schon sehr überfrachtet!
Stellungnahme der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina
Die Stellungnahme der Leopoldina (2024) behandelt die Förderung der Selbstregulationskompetenzen von Kindern und Jugendlichen in Bildungseinrichtungen. Sie stellt fest: Selbstregulationskompetenzen – kognitive, emotionale, motivationale und soziale Fähigkeiten zur Zielerreichung – sind entscheidend für das Wohlergehen, die Gesundheit und die soziale Teilhabe junger Menschen. Ihre Förderung sollte in die Standards der Kultusministerkonferenz, die Bildungspläne der Bundesländer, die Curricula für das pädagogische Personal und die Konzepte der Einrichtungen integriert werden.
Ihre zentralen Empfehlungen:
1. Selbstregulationskompetenzen als Leitperspektive
– Integration in die Standards der Kultusministerkonferenz und die Bildungspläne.
– Einbindung von Elternbeiräten, Schulkonferenzen und Verbänden.
2. Entwicklung von Indikatoren
– Verlässliche Indikatoren zur Messung der Kompetenzen entwickeln und ins Bildungsmonitoring aufnehmen.
– Verbesserung der Datengrundlage zur psychischen Gesundheit.
3. Umsetzung wirksamer Förderstrategien
– Evidenzbasierte Programme sollen breit eingeführt und evaluiert werden.
– Unterstützung durch digitale Technologien.
– Qualifiziertes Personal und ausreichende Ressourcen sind notwendig.

Gut – jetzt möchte ich es doch genauer wissen!
Begriffsbestimmung und Kernmerkmale
Der Begriff Selbstreguliertes Lernen beschreibt Lernprozesse, in denen Lernende ihr Handeln zielgerichtet planen, überwachen und reflektieren und dabei ihre Motivation, ihre Emotionen und das Lernumfeld aktiv steuern.
Wichtig dafür sind Lernstrategien, die wir entweder schon haben, oder noch (weiter)entwickeln müssen, um sie anwenden zu können!
Das Drei-Schichten-Modell nach Boekaerts (1999) unterscheidet folgende drei Kategorien:
– Kognitive Strategien zur Regulation der Informationsverarbeitung (Elaboration, Wiederholung und Organisation)
– Motivational-affektive und volitionale Strategien zur Regulation des Selbst (Identifikation, Attribution, Feedback, Selbstwirksamkeit und Aufrechterhaltung der Anstrengung)
– Metakognitive Strategien zur Regulation des Lernprozesses (Planung, Monitoring, Evaluation und Regulation)

Gut gut – aber wie können Lehrkräfte nun vorgehen?
Das Prozessmodell von Schmitz & Schmidt setzt Selbstregulation in den Kontext von Lernen und bietet Lehrkräften ein Grundgerüst, worauf in der Planung von Lehr-Lernprozessen geachtet werden soll. Es unterteilt den Lernprozess in drei Phasen: präaktionale, aktionale und postaktionale Phase.
1. Präaktionale Phase: In dieser Phase setzen Lernende Ziele und planen ihre Lernaktivitäten. Sie überlegen, welche Strategien sie anwenden möchten und welche Ressourcen notwendig sind. Diese Phase beinhaltet auch die Einschätzung der eigenen Fähigkeiten sowie das Festlegen von Zeitrahmen – und sie überlegen sich, was sie brauchen, um „dranzubleiben“.
2. Aktionale Phase: Hier setzen die Lernenden ihre Pläne in die Tat um. Sie führen die geplanten Lernaktivitäten durch, wenden entscheidende Strategien an, greifen auf Ressourcen zurück. Während dieser Phase ist es wichtig, dass die Lernenden ihre Fortschritte überwachen, die Motivation aufrecht erhalten und gegebenenfalls Anpassungen vornehmen.
3. Postaktionale Phase: Nach Abschluss der Lernaktivitäten reflektieren die Lernenden über ihren Lernprozess. Sie bewerten, inwieweit sie ihre Ziele erreicht haben, analysieren die Effektivität ihrer Strategien und ziehen Schlüsse für zukünftige Lernprozesse. Diese Reflexion hilft ihnen, ihre Selbstregulationskompetenzen weiterzuentwickeln.
Das Modell betont die zyklische Natur des Lernens, da die Erkenntnisse aus der postaktionalen Phase in die nächste präaktionale Phase einfließen, wodurch ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess entsteht.
Wichtig: Schülerinnen und Schüler brauchen hier Begleitung und Training… Es machen sich immer mehr Schulen auf und arbeiten in (Klein)Gruppen an der Erstellung von Aufgaben, die Selbstreguliertes Lernen fördern. Eine erste Auswahl wird in Kürze hier zu finden sein.
Die Professur für Psychologie des Lehren und Lernens der TUM hat das Themenheft Selbstreguliertes Lernen fördern herausgegeben, in dem sie eingeordnet, mit falschen Annahmen aufgeräumt und Lehrkräften nützliche Tipps für ihren Unterricht gegeben wird – alles vor dem Hintergrund neuester Forschungserkenntnisse.

Jetzt bin ich wirklich interessiert – was sagt denn die Wissenschaft sonst noch?
Auf dieser Übersichtsseite des Clearing House Unterricht der TUM finden sich Kurzreviews zu Metaanalysen zum SRL.
Literatur
Boekaerts, M. (1999). Self-regulated learning: where we are today. International Journal of Educational Research, 31(6), 445–457. https://doi.org/10.1016/S0883-0355(99)00014-2
Boekaerts, M. (2002). Bringing about change in the classroom: Strengths and weaknesses of the self-regulated learning approach—EARLI Presidential Address, 2001. Learning and Instruction, 12(6), 589–604. https://doi.org/10.1016/S0959-4752(02)00010-5
Lesperance, K. (2023). Selbstreguliertes Lernen fördern: Lernstrategien im Unterricht erfolgreich vermitteln, vol. 6. Wissenschaft macht Schule: Band 6. Waxmann Verlag. https://elibrary.utb.de/doi/book/10.31244/9783830998112 https://doi.org/142392
Schmitz, B., & Schmidt, M. (2007). Einführung in die Selbstregulation. In M. Landmann & B. Schmitz (Hrsg.), Selbstregulation erfolgreich fördern (S. 9–18). Kohlhammer.
Schunk, D. H., & Zimmerman, B. J. (1994). Self-regulation of learning and performance: Issues and educational applications. Hillsdale, NJ: Erlbaum.
Winne, P. H. (2005). A perspective on state-of-the-art research on self-regulated learning. Instructional Science, 33, 559–565. http://www.jstor.org/stable/41953695