“Ich bin mir unsicher. Dieser Essay ist fast zu gut. Kaum Fehler, super Argumentation. Entweder gab’s eine Erleuchtung oder…”
“…oder die KI hat’s geschrieben. Hatte letztens auch eine Story, die klang wie gedruckt. Auf Nachfrage hieß es nur : ‘Hab mir helfen lassen’.”
“War das jetzt eigene Leistung oder KI?” – Diese Frage schwingt heute oft mit, wenn Lehrende Texte ihrer Studierenden lesen. Doch hinter der Sorge ums Schummeln steckt eine viel größere Herausforderung: Wir müssen lernen, souverän mit KI-Technologien umzugehen. AI Literacy (AIL), also KI-Kompetenz, ist dabei mehr als nur eine weitere Fähigkeit. Es geht darum, kritisch, kreativ und verantwortungsvoll mit KI umzugehen – egal ob als Lehrkraft oder als Lernender. Doch wie entwickeln wir diese Kompetenz gezielt? Und warum ist sie gerade für die Bildung so entscheidend? Das AI Literacy Heptagon zeigt uns, worauf es wirklich ankommt.
Wie befähigen wir Studierende und Lehrende zu einem souveränen Umgang mit KI?
Als der Hype um ChatGPT aufkam, haben wir uns zuerst gefragt ‘Müssen wir jetzt alle Programmierer werden? ‘, wenn es um KI und Fragen zu Kompetenz ging. Die Antwort lautete eigentlich damals schon Nein. Es geht um viel mehr als nur das technische Verständnis von KI.
Wir brauchen also eine neue Art von Kompetenz: AI Literacy (AIL), also KI-Kompetenz. Das bedeutet: KI-Technologien verstehen und kritisch zu evaluieren. Sie kreativ einzusetzen und verantwortungsvoll weiter zu entwickeln. AIL ist eine Schlüsselkompetenz.
Hochschulen benötigen daher Lernangebote und Strukturen, die diese Kompetenz wirksam fördern. Bisher fehlen jedoch systematische und praxisnahe Ansätze. Und dabei hilft das AI Literacy Heptagon.
Also, was ist “AI Literacy”? Und warum ist das für mich als Lehrkraft wichtig?
Kurzum: AIL in der (Hochschul-)Bildung bedeutet, sich kritisch mit KI-Technologien auseinandersetzen zu können, ihre gesellschaftlichen und ethischen Implikationen zu verstehen und sie verantwortungsvoll anzuwenden. Es integriert Wissen, Fähigkeiten und Haltungen über technische, ethische, rechtliche und soziale Dimensionen hinweg – je nach Fachkontext mit unterschiedlichen Schwerpunkten.
Doch bevor wir ins Detail gehen: AIL ist nun eben weit mehr, als nur zu wissen, wie man ChatGPT oder Gemini bedient. Es geht darum, KI-Systeme kritisch zu verstehen, ihre Auswirkungen auf Gesellschaft und Individuen einschätzen zu können und sie verantwortungsvoll zu nutzen. Für Lehrkräfte ist das gleich doppelt relevant:
- Wir bereiten Schüler*innen vor: Wir müssen unsere Lernenden befähigen, sich in einer Welt, die zunehmend von KI geprägt ist, zurechtzufinden, mündig zu agieren und die Technologie kritisch zu hinterfragen.
- Wir nutzen (oder meiden) KI-Werkzeuge: Wir müssen entscheiden können, welche KI-Tools sinnvoll im Unterricht eingesetzt werden können, wo die Fallstricke liegen (z.B. Datenschutz, Bias) und wie wir sie didaktisch wertvoll integrieren.
Aber brauchen wir das alles wirklich? Noch eine Art von Kompetenz?
Wofür KI-Kompetenz, wenn es schon Medienkompetenz, Digitalkompetenz oder Datenkompetenz gibt?
AIL baut darauf auf, geht aber spezifisch auf die Besonderheiten von KI ein.
- Anders als reine Medienkompetenz: AIL betrachtet, wie KI-Algorithmen Inhalte (z.B. Nachrichten, Empfehlungen) erstellen und verbreiten und wie sie uns beeinflussen können.
- Anders als reine Datenkompetenz: AIL fokussiert darauf, wie KI-Modelle aus Daten lernen und Ergebnisse generieren, auch wenn die Prozesse oft undurchsichtig (“Black Box”) sind.
- Anders als reine Technikkompetenz: AIL betont die menschliche Interaktion mit KI und die ethischen und gesellschaftlichen Fragen, die sich daraus ergeben. Man muss nicht programmieren können, um AIL zu entwickeln.
Das AI Literacy Heptagon: Ein Kompass für den KI-Dschungel
Um AIL greifbarer zu machen, wurde das AI Literacy Heptagon entwickelt. Ein Modell mit sieben zentralen Dimensionen. Quasi ein Kompass, der uns hilft, die verschiedenen Aspekte der KI-Kompetenz zu verstehen, zu entwickeln und einordnen zu können.

Die 7 Dimensionen der KI-Kompetenz im Überblick
- Technisches Wissen & Fähigkeiten (TKS):Grundlegendes Verständnis, wie KI funktioniert (z.B. wie KI aus Daten lernt), ohne selbst Experte sein zu müssen. Wichtig für Lehrkräfte: Um die Möglichkeiten und Grenzen von KI-Tools einschätzen zu können.
- Anwendungskompetenz (AP): KI-Technologien effektiv für praktische Probleme nutzen und Arbeitsabläufe verbessern. Wichtig für Lehrkräfte: KI-Tools sinnvoll auswählen und im Unterricht einsetzen (z.B. zur Differenzierung, Materialerstellung, Feedback).
- Kritisches Denken (CTA): KI-Systeme, ihre Ergebnisse und ihre Grenzen analysieren und bewerten. Nicht alles blind glauben, was die KI ausspuckt! Wichtig für Lehrkräfte: Quellenkritik auf KI-generierte Inhalte anwenden, potenzielle Fehler oder Verzerrungen (Bias) erkennen.
- Ethisches Bewusstsein & Urteilsfähigkeit (EAR):Ethische Fragen rund um KI erkennen, bewerten und adressieren (z.B. Fairness, Transparenz, Datenschutz, Autonomie). Wichtig für Lehrkräfte:Verantwortungsbewussten Umgang mit KI-Tools vorleben und mit Schüler*innen diskutieren.
- Verständnis gesellschaftlicher Auswirkungen (SIU):Begreifen, wie KI Gesellschaft, Politik und Wirtschaft langfristig beeinflusst (positiv wie negativ). Wichtig für Lehrkräfte: Schüler*innen helfen, die größeren Zusammenhänge zu verstehen (z.B. Auswirkungen auf Arbeitsmarkt, Demokratie).
- Integrationsfähigkeiten (IS): KI-Technologien sinnvoll in bestehende (digitale) Umgebungen und Arbeitsweisen einbinden. Wichtig für Lehrkräfte: KI nicht als isoliertes Tool sehen, sondern erkennen, wie es pädagogisch in den Unterrichtsalltag passt.
- Rechtliches & Regulatorisches Wissen (LRK):Kenntnis relevanter rechtlicher Rahmenbedingungen (z.B. Datenschutzgrundverordnung, Urheberrecht, der neue EU AI Act). Wichtig für Lehrkräfte: Rechtliche Fallstricke beim Einsatz von KI-Tools vermeiden.
Nicht jeder muss ein KI-Guru sein: Stufen der Kompetenz
Das Heptagon unterscheidet vier Stufen, angelehnt an bekannte Kompetenzmodelle (wie die Bloom’sche Taxonomie): von Unwissend über Anfänger und Fortgeschritten bis zum Experten. Das Anfänger-Level in allen sieben Dimensionen sollte das Ziel für alle Hochschulabsolvent*innen sein – also auch für angehende Lehrkräfte. Darauf aufbauend können dann je nach Fachrichtung unterschiedliche Schwerpunkte auf höheren Stufen gesetzt werden.
Was bedeutet das AI Literacy Heptagon konkret für meinen Schulalltag als Lehrkraft?
Das Heptagon ist mehr als nur ein theoretisches Modell. Es kann uns ganz praktisch helfen…
… als Orientierung für die eigene Professionalisierung:
- Wo stehe ich selbst in den sieben Dimensionen? Wo habe ich Stärken, wo vielleicht noch Nachholbedarf?
- Welche Fortbildungen oder Ressourcen könnten mir helfen, gezielt bestimmte Aspekte meiner AIL zu verbessern? Zum Beispiel eine Fortbildung zu rechtlichen Aspekten oder zum kritischen Umgang mit KI-Outputs?
… als Leitfaden für den Unterricht:
- Welche Dimensionen von AIL möchte ich bei meinen Schüler*innen fördern?
- Wie kann ich Themen wie Ethik, gesellschaftliche Auswirkungen oder kritisches Denken im Zusammenhang mit KI in meinem Fachunterricht (und das nicht nur in Informatik) ansprechen?
- Wie bewerte ich KI-Tools für den Unterricht nicht nur nach ihrer Funktionalität (AP), sondern auch nach ethischen (EAR) und rechtlichen (LRK) Kriterien?
… als Diskussionsgrundlage im Kollegium:
- Wie wollen wir als Schule mit KI umgehen?
- Welche gemeinsamen Standards für den Einsatz von KI-Tools wollen wir entwickeln?
- Wie können wir uns gegenseitig dabei unterstützen, unsere AIL weiterzuentwickeln?
KI-Kompetenz ist eine Reise, kein Sprint – Das Heptagon weist den Weg
Die Entwicklung von KI-Kompetenz ist kein einmaliges Projekt, sondern ein fortlaufender Prozess. Sowohl für Lehrende als auch für Schüler*innen. Das AI Literacy Heptagon bietet eine Struktur und einen umfassenden Blick auf das, worauf es ankommt. Es zeigt, dass es nicht nur um technische Skills geht, sondern um einen kritischen, verantwortungsbewussten und ganzheitlichen Umgang mit einer Technologie, die unsere Welt verändert.
Und wer’s mal spielerisch zum Einstieg in Aktion ausprobieren will – hier könnt ihr selbst euer eigenes AI Literacy Heptagon befüllen. Diese Anwendung ist ein erster kleiner Prototyp, erstellt in wenigen Minuten basierend auf dem Paper mit Claude 3.7. Wir freuen uns, wenn ihr das AI Literacy Heptagon nützlichfindet, über weitere Ideen und Berichte aus der Praxis!
Beschäftigt sich in ihrer Promotion mit dem Einsatz von KI in der Hochschulbildung und bringt mit ihrem KI Marketing Bootcamp deutschen Unternehmen das Prompten bei.