Ein Beitrag von Dorothe Knapp und Amelie Zimmermann
Wo liegt die Grenze?
Im wissenschaftlichen wie im künstlerischen Prozess begegnet sie einem immer wieder: Die Angst vor dem weißen Blatt. Wie fange ich einen Text an? Wo setze ich den ersten Strich? Wie überwinde ich meine Angst zu scheitern? Liegt diese Grenze bei oder vor mir?
Diesen Fragen hat sich eine Studierende im Verbundseminar „Grenzen – Ein Projektseminar zwischen Mediensemiotik und Kunstpädagogik“ im Sommer 2017 gestellt und sie ästhetisch produktiv gemacht. Die Grenze der Ausdrucksfähigkeit machte sie zum zentralen Thema ihres künstlerischen Projekts, das sie als großformatige monochrome Malerei vorantrieb und sich damit nicht nur konzeptionell und reflektierend, sondern auch sehr persönlich mit dem Thema auseinandersetzte.
Dies ist nur ein Beispiel für die sehr unterschiedlichen Begegnungen mit dem Thema ‚Grenzen‘, die die Studierenden im interdisziplinären Erfahrungsraum unseres Projektseminars gefunden haben.
Raumsemantik
Die Grenze ist – ausgehend von der Raumsemantik Jurij Lotmans – ein zentrales Konzept in der Medien- und Literatursemiotik an der Universität Passau, mit dem Studierende im Fach Deutsch üblicherweise im Rahmen der Analyse literarischer Texte, aber auch anderer Medieninhalte wie beispielsweise Filme und Werbespots, in Berührung kommen. Für die Entwicklung einer Information and Media Literacy kann das Modell ein Werkzeug zur Identifikation Weltmodellen und Ideologien sein, die in der Tiefenstruktur von Medientexten verankert sind, wodurch eine kritische Rezeption möglich wird. Denn zu den Seiten einer Grenze befinden sich immer entgegengesetzt semantische Räume: Auf der einen Seite einer Grenze ist etwas mit einer bestimmten Bedeutung vorzufinden – auf der anderen Seite aber findet sich das Gegenteil. Eine Grenze formt so in der Regel Räume für Oppositionen und ihre Überschreitung hat Ereignischarakter.
Seminar
Im Sommersemester 2017 wählten wir also in Kooperation von Mediensemiotik und Kunstpädagogik das Thema ‚Grenzen‘ für eine Verschränkung von künstlerisch-praktischen und analytischen Auseinandersetzungen. Nach einem ersten Impuls-Block zu theoretischen Konzepten und verschiedenen Übungen identifizierten wir gemeinsam mit Studierenden aus beiden Fachbereichen individuelle Ausgangspunkte für eine künstlerische Auseinandersetzung; die semiotische Theorie diente uns in der folgenden Projektphase weiterhin als Bezugspunkt für die Reflexion der eigenen praktischen Arbeit. Immer wieder im Austausch mit uns als Dozentinnen und den anderen Teilnehmer*innen wurde über mehrere Wochen an den eigenen Projekten gearbeitet. Der genaue Ablauf des Seminars inklusiver einer Schilderung der einzelnen methodischen Herangehensweisen kann in der Seminardokumentation nachgelesen werden, die diesem Blogartikel anhängt. Auch haben wir einen Artikel zum Seminar in einer Ausgabe der Schriften zur Kultur- und Mediensemiotik (SKMS) zur Semiotik in der Lehrkräftebildung veröffentlicht, den wir hier verlinken.
Kooperation und Ausstellung
Schließlich mündete die Auseinandersetzung mit der Grenze für die Studierenden in eine Ausstellung, die in Kooperation mit dem Kunstverein Passau e.V. in der St. Anna-Kapelle stattfand. Auch Arbeiten der Passauer Künstler Rudolf Klaffenböck und Alois Jurkowitsch wurden dort gezeigt. Als Rahmenprogramm zum Kongress der Deutschen Gesellschaft für Semiotik (DGS) e.V., der im September 2017 zum gleichen Thema an der Universität Passau stattfand, bildete die Ausstellung viele neue Möglichkeiten an, Grenzen zu betrachten: Denn auch der Kongress beschäftigte sich aus wissenschaftlicher Perspektive mit dem Thema. Wer also den ganzen Tag über Vorträge zur Grenze gehört oder sogar gehalten hatte, konnte danach noch in der Ausstellung vorbeischauen und war vielleicht ganz angetan davon, mal einem riesengroßen fast ganz weißen Blatt gegenüber zu stehen und nichts sagen zu müssen.
Download Seminardokumentation
Du willst es genauer wissen? Hier kannst du die ausführliche Seminardokumentation herunterladen: