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Studentische Unterrichtsmaterialien im Praxistest – Lehrkräfte, Studierende und Wissenschaftlerinnen im Dialog über medienintegrative Deutsch-Didaktik

Ich fand es cool, dass hier mal wirklich in Richtung Praxis gedacht wurde. Es wurde nicht nur ein theoretischer Grundstein gelegt, wozu man dann eine Hausarbeit schreibt, die am Ende dann irgendwie doch nichts sagt und nichts gebracht hat. Stattdessen haben wir wirklich an etwas gearbeitet und wir hatten am Ende ein Produkt, das man vielleicht auch mal selbst in seinen Unterricht einbauen kann.“

(Audio-Reflexion einer/s Studierenden)

Die Idee

Bewusst anwendungsbezogene Lernsituationen in der Lehrer*innenbildung zu schaffen, so wie es obiges Zitat pointiert, macht einen Teil dessen aus, was die Lehre in SKILL.de besonders macht. Dafür bietet es sich an, mit dem Konzept des Situierten Lernens zu arbeiten (Meier, Gimbel et al., 2018). Situiertes Lernen meint dabei „Lernen in komplexen, problemorientierten Situationen, die den Lebensbedingungen und Anwendungssituationen im zukünftigen Berufssetting möglichst nahekommen“ (Meier, Grospietsch & Mayer, 2018, S. 146).

In vorliegendem Projekt, unter der wissenschaftlichen Leitung von Mirjam Dick (Didaktik der deutschen Sprache und Literatur), wurde der Anspruch erhoben, digitalisierungsbezogene und deutschdidaktische Kompetenzerwerbsprozesse in der Deutschlehrer*innenbildung konsequent zu verzahnen, um sie später im Unterricht anzuwenden. Dafür wurde eine komplexe Problemstellung in einem deutschdidaktischen Vertiefungskurs entworfen, welche die Studierenden im Rahmen mehrerer projektorientierter Phasen lösen mussten (zur Seminarkonzeption und theoretischen Fundierung bzgl. partizipativer und problemlösender Prozesse in der Distanzlehre siehe Dick, 2021, S. 137-157 ). Die Ergebnisse sollten für einen medienintegrativen Literaturunterricht in der Grundschule einsetzbar sein.

Die Entwicklung der Unterrichtsmaterialien im Seminar

Die Studierenden entwickelten im Rahmen eines Seminars im Fach Didaktik der deutschen Sprache und Literatur im Sommersemester 2021 digitale Lernbücher (interactive books) mit H5P (Joubel). Zielgruppe waren Schülerinnen und Schüler der Grundschule in einem Literaturunterricht, der – über einen schriftbasierten Text hinaus – mit Medienverbünden arbeitet. „Märchen im Medienverbund“, also Verfilmungen, Hörbuch, printbasierter Originaltext, Lieder, all diese Medien besitzen gerade im Verbund ein hohes didaktisches Potenzial für den Erwerb literarischer Kompetenzen (Josting, 2017; Josting & Maiwald, 2007; Kruse, 2014a, 2014b).

Die angehenden Lehrkräfte hatten die Aufgabe, aktivierende Unterrichtsbausteine zu entwickeln,  wobei sie sowohl Theorien zur Medienverbunddidaktik, zur Entwicklung von Aufgaben für den Literaturunterricht und zum Erwerb literarischer Kompetenzen als auch die neu zu erwerbenden digitalen Fertigkeiten rund um die Erstellung digitaler, interaktiver Lernbücher in H5P vernetzt anwenden mussten.

Der Praxistest

Auf freiwilliger Basis konnten Studierende, nachdem sie das Material entwickelt hatten, die selbst erstellten digitalen und interaktiven Lernbücher in ein Testungs-Projekt einbringen. An zwei Grundschulen wurde von engagierten Lehrkräften – namentlich Manuela Heimbeck, Martin Scheungraber und Alina Meindl – aufbauend auf einer Lehrerfortbildung eine Testung der entwickelten Lehr-Lernmaterialien durchgeführt. Aus den einzelnen Unterrichtsbausteinen wurde dafür von dem Studierenden-Team zunächst eine ganze Sequenz erarbeitet: etwa zur Figurenanalyse der Hexe in drei verschiedenen medialen Versionen des Märchens „Hänsel und Gretel“. Angedacht war eine Testung im Rahmen von „Schule-an-der-Uni-Tagen“ im Didaktischen Labor der Universität Passau. Aufgrund der pandemiebedingten Beschränkungen im Herbst/Winter 2021 wurde die Testung der Materialien stattdessen an den Schulen vor Ort durch die Lehrkräfte in der dritten bzw. vierten Klasse durchgeführt.

„Die Materialien haben ein hohes Potenzial für einen integrativen Deutschunterricht. Gerade auch fächerübergreifend sehe ich sehr viele Anknüpfungspunkte“, äußert sich Alina Meindl, eine der Lehrkräfte, hierzu.

Die Schülerinnen und Schüler arbeiteten dabei in mehreren Unterrichtseinheiten mit unterschiedlichen analogen und digitalen Aufgaben zu einem „Märchen im Medienverbund“. Insbesondere die Arbeit an den Tablets, die digitalen Lernbücher, war für die Kinder eine spannende, aber auch herausfordernde Situation. Sie mussten dabei sowohl grundlegende Medienkompetenzen aufbauen, da eine solche Lehr-Lernsituation für alle Beteiligten bisher nicht zum Schulalltag gehörte, als auch intensiv mit literarischen Lernaufgaben arbeiten. Für manche Kinder war das eine anstrengende Erfahrung, andere bedankten sich für das „mega coole“ Projekt und fanden es „schön mal etwas anderes zu machen“ (Rückmeldung von Schüler*innen).

Für die Konstrukteur*innen der digitalen Lernbücher, die Studierenden, ergaben sich aus dem Feedback der Lernenden und Lehrkräfte wichtige Impulse für ihre Arbeit als zukünftige Lehrkräfte: Die Dimensionierung des Anspruchs einer Aufgabe bzw. eine kindgerechte didaktische Reduktion sind Aspekte, die auch für geübte Lehrkräfte oft noch herausfordernd, aber sehr zentral sind (Artelt et al., 2007; Mägdefrau & Michler, 2014; Steinmetz, 2019). Hier bereits im Studium persönlich bedeutsame Lerngelegenheiten zu ermöglichen, erscheint daher sinnvoll. Und so reflektiert eine Studentin denn auch, gerade mit Blick auf die zu entwickelnden digitalen Lehr-Lernelemente:

„Doch nicht nur dieses unbekannte Neuland, nämlich die Technik und die Arbeit mit H5P, war herausfordernd, sondern auch die gesamte Erstellung einer guten, kompetenzorientierten Aufgabe, die verschiedene Ebenen des Textverstehens abarbeitet, eine Balance zwischen Anforderungen und Unterstützungen schafft UND noch einen roten Faden beachtet. Das alles war eine große Herausforderung und vor allem die Menge an den verschiedenen Sachen, die man zu beachten hatte, war sehr ‚challenging‘, wie man so schön sagt.“

(Audio-Reflexion einer Studentin)

Der phasenübergreifende Dialog

Nach Durchführung des Praxistest fanden sich alle Beteiligten des Projekts abschließend zusammen. Der Austausch zwischen den Studierenden, den ausführenden Lehrkräften und der wissenschaftlichen Begleitung wurde als sehr gewinnbringend wahrgenommen. Gemeinsam wurde über kritische Stellen in den entwickelten Lehr-Lernmaterialien diskutiert, weitere methodische Möglichkeiten wurden reflektiert und Potenziale einer Arbeit mit Medienverbünden im Literaturunterricht der Grundschule abgeleitet.

„Diese unterschiedlichen Perspektiven zu einem gemeinsamen konkreten Projekt zu hören und miteinander, auch kontrovers zu diskutieren, war für mich sehr ertragreich“, resümiert Mirjam Dick.

„Für die Studierenden war es eine Möglichkeit, Anwendungssituationen im zukünftigen Berufssetting möglichst nahezukommen. Dazu gehört auch, die hohe Komplexität, die bei der Entwicklung, Erstellung und Anwendung von digitalen und analogen Lehr-Lernmaterialien besteht, ‚am eigenen Leib‘ zu durchleben. Das Feedback können die Studierenden nun nutzen, um die Unterrichtsbausteine noch weiter für einen zukünftigen Einsatz im Unterricht zu optimieren.“

Ein herzlicher Dank geht an Prof. Dr. Manuela Heimbeck (SRH Heidelberg und ehem. Studienrätin an der Grundschule Haag i. OB) sowie Martin Scheungraber und Alina Meindl (Lehrkraft und Lehramtsanwärterin der Ritter-Tuschl-Grundschule Vilshofen) sowie an alle beteiligten Studierenden.

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Literaturverzeichnis

Artelt, C., McElvany, N., Christmann, U., Richter, T., Groeben, N., Köster, J., Schneider, W., Stanat, P., Ostermeier, C., Schiefele, U., Valtin, R. & Ring, K. (2007). Förderung von Lesekompetenz: Expertise. Bildungsreform Bd. 17 (BMBF).

Dick, M. E. (2021). Multimodal – problemlösend – partizipativ: Studierende entwickeln digitale interaktive Unterrichtsbausteine. k:ON – Kölner Online Journal für Lehrer*innenbildung, 4(2), 137–157.

Josting, P. (2017). Intermedialität. In J. Baurmann, C. Kammler & A. Müller (Hrsg.), Reihe Praxis Deutsch. Handbuch Deutschunterricht: Theorie und Praxis des Lehrens und Lernens (1. Aufl., S. 238–241). Klett/Kallmeyer.

Josting, P. & Maiwald, K. (2007). Kinder- und Jugendliteratur im Medienverbund: Grundlagen, Beispiele und Ansätze für den Deutschunterricht. Kjl & m Extra: Bd. 7. kopaed.

Joubel. H5P [Computer software]. H5P.org

Kruse, I. (2014a). Brauchen wir eine Medienverbunddidaktik? Zur Funktion kinderliterarischer Medienverbünde im Literaturunterricht der Primar- und frühen Sekundarstufe. Leseräume. Zeitschrift für Literalität in Schule und Forschung(1), 1–30.

Kruse, I. (2014b). Intermediale Lektüre(n): Ein Konzept für Zu- und Übergänge in intermedialen Lehr- und Lernarrangements. In G. Weinkauff, U. Dettmar, T. Möbius & I. Tomkowiak (Hrsg.), Kinder- und Jugendliteratur in Medienkontexten: Adaption – Hybridisierung – Intermedialität – Konvergenz (S. 179–198). Peter Lang.

Mägdefrau, J. & Michler, A. (2014). Arbeitsaufträge im Geschichtsunterricht: Diskrepanz zwischen Lehrerintention und didaktischem Potenzial? In B. Ralle, S. Prediger, M. Hammann & M. Rothgangel (Hrsg.), Lernaufgaben entwickeln, bearbeiten und überprüfen: Ergebnisse und Perspektiven fachdidaktischer Forschug (S. 105–119). Waxmann Verlag.

Meier, M., Gimbel, K., Roetger, R. & Isaev, V. (2018). Situiertes Lernen in hochschuldidaktischen Lernumgebungen. In M. Meier, K. Ziepprecht & J. Mayer (Hrsg.), Lehrerausbildung in vernetzten Lernumgebungen (S. 51–76). Waxmann.

Meier, M., Grospietsch, F. & Mayer, J. (2018). Vernetzung von Wissensfacetten professioneller Handlungskompetenz in hochschuldidaktischen Lehr-Lernsettings. In I. Glowinski, A. Borowski, J. Gillen, S. Schanze & J. v. Meien (Hrsg.), Kohärenz in der universitären Lehrerbildung: Vernetzung von Fachwissenschaft, Fachdidaktik und Bildungswissenschaften (S. 143–178). Universitätsverlag Potsdam.

Steinmetz, M. (2019). Verstehensunterstützende Aufgaben im Literaturunterricht. In C. Bräuer & N. Kernen (Hrsg.), Positionen der Deutschdidaktik. Aufgaben- und Lernkultur im Deutschunterricht: Theoretische Anfragen und empirische Ergebnisse der Deutschdidaktik (S. 83–106). Peter Lang.