Ein interaktiver Erfahrungsraum am Beispiel des Klimawandels – Ein Beitrag von Jessica Knauer, Dr. Sarah Makeschin & Johannes Wenzel
Ausgangslage und Notwendigkeit eines Critical-Thinking-Models
Wir leben in einer medialisierten Gesellschaft, das meint, die Digitalisierung greift in alle Lebensbereiche und verändert nachhaltig und allumgreifend unsere Welterschließung, unsere Wissensaneignung und -produktion. (Pollak et. al, 2018, S. 29-30 und 37-38)
Als Aspekte dieser tiefgreifenden Mediatisierung* sind exemplarisch folgende Schlagworte bzw. Trends nach Hepp & Hasebrink (2017) zu nennen:
“Erstens die Ausdifferenzierung verschiedener technischer Endgeräte und Dienste als (digitale) Medien, zweitens die Folge, dass diese Medien durch die Infrastruktur des Internets eine zunehmende Konnektivität (und zunehmende kommunikative Konnektivitäten) ermöglichen, drittens haben wir es durch Mobilkommunikation mit einer fortschreitenden Omnipräsenz dieser Medien zu tun, viertens ist die Entwicklung neuer Medien durch eine sich beschleunigende Innovationsdichte gekennzeichnet und fünftens die Datafizierung von Kommunikation, d. h. Medien sind mit der Digitalisierung nicht einfach nur mehr Mittel der Kommunikation, sondern auch der Datensammlung und damit (automatisierten bzw. software-basierten) Auswertung dieser Daten.” (Hepp, 2018, S. 7 / Hepp & Hasebrink, 2017)
Diese Trends sind dabei allerdings eben nicht als rein technologischer, sondern vor allem als sozio-kultureller Wandel zu begreifen, denn sie verändern Gesellschaft fortwährend. Ein kritisch-kompetenter Umgang mit Informationen wird somit immer wichtiger. Vor allem in pädagogischen Kontexten muss ein Reflexionsraum geschaffen werden, der den Prozess der Informationsgewinnung und der Überführung in eigenes Wissen dezidiert reflektiert. Da wir über Medien zunehmend unser Weltbild erschließen, unser Wirklichkeitsbewusstsein generieren und Welt konstruieren, gilt es, sich diese immer wieder wandelnden Prozesse bewusst zu machen und kritisch zu reflektieren.
So haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, ein pädagogisches Konzept auszuarbeiten, das es allen Akteur*innen ermöglicht, Informationen, Sachverhalte und Ereignisse in unserer Lebenswelt kritisch zu hinterfragen und zu verstehen. Mit dem hierfür entwickelten Critical-Thinking-Model können medial-vermittelte Realitäten in ihrer kulturellen Konstruiertheit und medialen Geprägtheit reflektiert werden. Prozesse, die dabei zu Grunde liegen, können analysiert sowie Machtstrukturen erkannt (McLuhan, 1964/ Foucault, 1990) und (dadurch) Partizipation (Dewey, 1937) an gesellschaftlichen Systemen ermöglicht werden.
Das Critical-Thinking-Model eröffnet einen Reflexionsraum zum kritischen Nachdenken. Dies passiert über den Austausch von Erfahrungen, Wissen und Informationen, um ein eigenes Bewusstsein zu entwickeln, Informationen, wie z. B. mediale Ereignisse, kritisch zu betrachten. Auf diese Weise wird, im Sinne einer „Critical Pedagogy“ (Candelier-Diaz, 2005, S. 331-332 / McLaren, 2003, S. 72), ein erlebbares Hinterfragen eines positivistischen Bilds von Wissen, dessen Konstruktion und der darin eingeschriebenen Machtstrukturen, ermöglicht. Das digitale Zeitalter trägt dazu bei, dass wir Information und Wissen oft nicht mehr klar voneinander trennen: Doch das Critical-Thinking-Model versucht genau hier anzusetzen!
Zielgruppe des Critical-Thinking-Models
Das Critical-Thinking-Model richtet sich an eine breite Zielgruppe. Es kann von der Grundschule bis hin zur Erwachsenenbildung angewandt werden. Zielgruppenspezifisch wird es von uns entsprechend methodisch, didaktisch und inhaltlich aufbereitet. Dies kann auch partizipativ in Kooperation mit den Teilnehmenden geschehen.
Critical-Thinking-Model konkret am Beispiel des Klimawandels
Als exemplarischer Untersuchungsgegenstand im Rahmen des Workshops haben wir das Phänomen Klimawandel in den Blick genommen. Da dieses gegenwärtig in den Medien prominent verhandelt und diskutiert wird, bietet es sich als spannender Untersuchungs- und Diskursgegenstand für unser Critical-Thinking-Model an. Insbesondere die extreme gesellschaftliche und politische Polarisierung (Funk & Kennedy, 2016/ Häussler, 2018), welche im Kontext dieser Thematik in Erscheinung tritt, macht dieses Thema zu einem relevanten Anwendungsfeld.
Unser Wissen über den Klimawandel generieren wir nicht einfach nur durch direkte, d. h. natürliche, lebensweltlich-sinnliche Erfahrungen (auch wenn diese für unser Weltbild ganz entscheidend sein können), sondern auch aufgrund medialer Berichte, Dokumentationen und Ereignisse. Die Verarbeitung dieses Wissens geschieht dann subjektiv und dieser Prozess ist an das einzelne Individuum gebunden. Da wir alle über verschiedene Wissensbestände verfügen, spielen erkenntnisprozessoral neben dem (Vor)wissen bei der Verarbeitung all dieser Informationen unter bildungstheoretischen Gesichtspunkten auch (Vor)erfahrungen, (ästhetische) Wahrnehmung sowie biographische Komponenten wie Erziehung und Sozialisation eine bedeutende Rolle. Diese berücksichtigt das Critical-Thinking-Model bei der beispielhaften Auseinandersetzung mit dem Phänomen Klimawandel.
Anhand verschiedener medialer Zugänge durch einzelne Boxen, welche in einem Analog-Digitalen Netzwerk (siehe Abbildungen 1 und 2) eingebettet sind, kann man die Erfahrung, Informationen in unserem digitalen Zeitalter zu erschließen und in das eigene Wissen zu überführen, exemplarisch nachempfinden und so ein kritisches Nachdenken und eine Reflexion anstoßen (siehe Grafik 1).
Konzept und Workshopleitung
Jessica Knauer, M.A.
Magisterstudium der Allgemeinen Pädagogik an der Universität Passau. Forschungsschwerpunkt Kulturelle Bildung und Lehre im Bereich Museumspädagogik. Aktuell medienpädagogische Mitarbeiterin und Lehrende innerhalb des Lehrprojekts Information and Media Literacy (IML) im Gesamtprojekt SKILL an der Universität Passau. Promotionsvorhaben zum Thema Ästhetische Erfahrungen von Kindern im Bildungsraum Museum.
Sarah N. Makeschin, Dr.
Promotion im Bereich American Culture & Media Studies/Political Communication an der Universität Passau. Forschungsschwerpunkt Digitalisierung & kultureller Wandel sowie Political Culture & Communication Studies. Aktuell kulturwissenschaftliche Mitarbeiterin und Lehrende innerhalb des Lehrprojekts Information and Media Literacy (IML) im Gesamtprojekt SKILL an der Universität Passau sowie freiberufliche Vortrags- und Beratungstätigkeiten im Bereich digitaler Wandel, (politische)Kommunikation und Innovation.
Johannes Wenzel, B.A.
abgeschlossenes Bachelorstudium der Kulturwirtschaft an der Universität Passau. Seit 2014 an der Universität Passau laufendes Lehramtsstudium für Englisch und Geographie an Gymnasien mit mit Schwerpunkt Physische Geographie und Globale Umweltveränderungen. Aktuell studentischer Mitarbeiter und Lehrender im Lehrprojekt Information and Media Literacy (IML) im Gesamtprojekt SKILL.
Referenzen
Unser Tipp für dich! – Ein Interview mit Dr. Sarah Makeschin nach unserem Workshop beim KIKA am Barcamp KINDER JUGEND MEDIEN in Erfurt.
Analoge Informationsboxen als Erfahrungsgegenstände, die zum kritischen Denken anregen
Die Informationsboxen, die im Raum aufgestellt werden, bieten aus unterschiedlichen inhaltlichen Perspektiven sowie über verschiedene mediale Zugänge (z. B. analog oder digital) Informationen an, die bereits durch die didaktische Aufbereitung irritieren und Zweifel aufkommen lassen und damit zum kritischen Denken auffordern. Sie können je nach Thema bestückt werden und sind nicht getrennt voneinander zu betrachten, da sich die Inhalte ergänzen und mediale Zugänge überschneiden. Um jedoch eine Reflexion über die Informationen und den damit verbundenen Wissenserwerb zu ermöglichen, wurden folgende Medien bzw. medialen Zugänge (siehe Grafik 1) differenziert:
Die mediale Konstruktion von Informationen durch die Medien kann von jedem Workshop-Teilnehmenden durch konkrete Erfahrungen mit den Informationsboxen kritisch hinterfragt, analysiert und interpretiert werden. Im Folgenden soll dies konkretisiert werden.
Didaktisches Konzept und methodische Umsetzung – Eine Anleitung zum Workshop Kritisches Denken im Digitalen Zeitalter
Die didaktische, inhaltliche und methodische Basis des Workshops bildet die Frage nach der Erschließung von Informationen über mediale Zugänge sowie die kritische Reflexion dieses Prozesses. Ausgehend vom Passauer Ansatz der „Medialität der Welterschließung“ (Pollak et al., 2018) werden Medien dabei als Mittel und Vermittler von Welt verstanden. Bei der Reflexion der medialen Zugänge zur Erschließung von Wissen ist es zentral, den Begriff des Mediums sowie Medien mit den jeweiligen Workshopteilnehmenden zu besprechen, sowie einen Raum zu ermöglichen, der eine offene und subjektorientierte Reflexion der Prozesse zur Wissensaneignung- und Konstruktion zulässt. Folgende zwei zentrale Fragen stehen hierbei im Fokus:
- Wie erschließt du dir Informationen?
- Wie eignest du dir das Wissen an?
Jede/r der Teilnehmenden erhält eine kleine Papp-Box, die symbolisch als Blackbox des eigenen Informations- und Wissensstandes mit neuen Informationen zu einem neuen Thema befüllt wird. Die Teilnehmenden treten dabei in einer freien Erkundungsphase mit dem Erfahrungsraum des Analog-Digitalen Netzwerks in Interaktion.
Dazu stehen die Informationsboxen als Abbild der Vielfalt medialer Beiträge zur sozialen Wirklichkeitskonstruktion zur Verfügung und erlauben es, sich über das gewählte Thema zu informieren. So wird deutlich, dass unser Wissenserwerb über so eine komplexe Thematik wie den Klimawandel sowohl verschiedene mediale Zugänge benötigt, als auch Zeit, das Wissen in der eigenen Box (der Blackbox) mit Vorerfahrungen und Vorwissen zu verknüpfen. Ziel des Critical-Thinking-Models ist es, dass sowohl die Zugänge als auch die Inhalte, die in den Boxen zu finden sind, kritisch reflektiert werden.
In einem letzten Schritt begegnen sich alle Workshop-Teilnehmenden, um ihre Erfahrungen mit der Informations- und Wissenserschließung zu reflektieren. Dabei steht die Reflexion der folgenden Fragestellungen im Mittelpunkt:
- Wie haben sich die Teilnehmenden subjekit dem Phänomen Klimawandel über das mediale Informationsangebot (Boxen) erschlossen?
- Wie haben die Teilnehmenden den Prozess (Wissenserwerb) im Analog-Digitalen Netzwerk erlebt? Was ist ihnen dabei aufgefallen?
Abgeleitet aus diesen Erkenntnissen wird die Bedeutung eines kritischen Hinterfragens der eigenen Erkenntnisprozesse im digitalen Zeitalter, in der medialen Erschließung von Welt über Informationen, diskutiert.
* “In quantitativer Hinsicht fasst Mediatisierung die zunehmende zeitliche, räumliche und soziale Verbreitung von medienvermittelter Kommunikation. In qualitativer Hinsicht wird mit Mediatisierung der Stellenwert der Spezifika verschiedener Medien im und für den soziokulturellen Wandel gefasst.” (Hepp, 2013, S. 1)
Impressionen
Ein paar Bilder unseres Workshops am Barcamp KINDER JUGEND MEDIEN in Erfurt im November 2018.
Literatur
Dewey, J. (1937). Democracy and Educational Administration. School and Society, 45(1), 457–467.
Dewey, J. (1916) Demokratie und Erziehung – Eine Einleitung in die philosophische Pädagogik von Oelkers, Jürgen (Hrsg.) (2011). Basel: Beltz.
Candelier-Diaz, G.M. (2005). Teaching Critical Thinking in a World of Difference. In: Kincheloe, J. L. (Hrsg.), Classroom Teaching: An Introduction (S. 323-338). New York : Peter Lang.
Foucault, M. (1990). The History of Sexuality: Vol. 1. An Introduction. New York, NY: Vintage Books.
Funk, C. & Brian Kennedy (2016). The Politics of Climate Change. PEW Research < http://www.pewinternet.org/2016/10/04/the-politics-of-climate/> (Zugriff am 17.11.2018)
Häussler , T. (2018). Heating up the Debate? Measuring Fragmentation and Polarization in a German Climate Change Hyperlink Network. Social Networks, Vol. 54 Jul 2018, 303 -313.
Hepp, A., (2013) Mediatisierung. < http://www.andreas-hepp.name/wp-content/uploads/2017/10/hepp-mediatisierung-2.pdf > (Zugriff am 06.03.2019)
Hepp, A. (2018). Von der Mediatisierung zur tiefgreifenden Mediatisierung. Konstruktivistische Grundlagen und Weiterentwicklungen in der Mediatisierungsforschung. In J. Reichertz & R. Bettmann (Hrsg.), Kommunikation – Medien – Konstruktion. Braucht die Mediatisierungsforschung den Kommunikativen Konstruktivismus? (pp. 27-45). Wiesbaden: Springer VS.
Hepp, A., & Hasebrink, U. (2017). Kommunikative Figurationen. Ein konzeptioneller Rahmen zur Erforschung kommunikativer Konstruktionsprozesse in Zeiten tiefgreifender Mediatisierung. Medien & Kommunikationswissenschaft, 65(2), 330-347.
McLaren, P. (2003). Critical Pedagogy: A Look at the Major Concepts. In: Antonia Darder, A., Torres, R. & Baltodano, M. (Hrsg.), The Critical Pedagogy Reader (S. 69-96). New York: Routledge.
McLuhan, M. (1964). Understanding Media: The Extensions of Man. New York, NY: McGraw-Hill.
Mootz, Francis J. (2010). Law, Hermeneutics and Rhetoric. Burlington: Ashgate Publishing.
Pollak, G., Decker, J.-O., Dengel, A., Fitz, K., Glas, A., Heuer, U., Huang, V., Knapp, D., Knauer, J., Makeschin, S., Michler, A. & Zimmermann, A. (2018). Interdisziplinäre Grundlagen der Information and Media Literacy (IML): Theoretische Begründung und (hochschul-) didaktische Realisierung – Ein Positionspapier. In Knauer, J. & Zimmermann, A., PAradigma Themenheft: Information and Media Literacy.
Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Erziehungswissenschaften im Lehrprojekt IML
Forschungsschwerpunkte: Kulturell-Ästhetische Medienbildung und handlungsorientierte Medienpädagogik/ Partizipation und Interaktion in der Kulturellen Bildung, Museumspädagogik/Kulturpädagogik. Lehre im Zertifikat Museumspädagogik und im Zertifikat Information & Media Literacy