Im Workshop free like a bOERd werden Prozesse initiiert, um gemeinsam freie Materialien für transformatives Lernen im Schulalltag zu entwickeln.

Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) braucht Handlungspotenzial und kritische Reflexion, um eine transformative Wirkung entfalten zu können. Es müssen also „Möglichkeitsräume“ gestaltet werden, die den Schüler:innen Gelegenheiten bieten, ihre eigenen Denk- und Handlungsweisen zu analysieren und zu reflektieren und neue, zum Teil noch unbekannte, Wege in eine lebenswerte Zukunft zu finden (Pettig & Ohl, 2023). Merkmale solcher Lernumgebungen, die transformatives Lernen ermöglichen können, sind unter anderem eine gewisse Ergebnisoffenheit, der Projektcharakter, Experimentierphasen und ein dialogisches Miteinander aller Beteiligten (Pettig, 2021). Wie aber kann das im Unterricht des Schulalltags konkret umgesetzt werden?
Wie kann Unterricht ganz konkret im Sinne transformativen Lernens gestaltet werden und so dazu beitragen, Schüler:innen zu einer kritisch-reflexiven Auseinandersetzung mit Fragen der nachhaltigen Zukunftsgestaltung zu befähigen?
Diese Frage stand beim Workshop free like a bOERd: Materialien für transformatives Lernen im Mittelpunkt, bei dem am 02. Juni 2025 interessierte Lehrkräfte aus Grundschule und Sekundarstufe teilgenommen haben. Das Angebot wurde im Zuge einer Forschungsarbeit entwickelt, welche sich mit dem Potenzial von OER für transformative BNE beschäftigt und dabei Chancen sowie Synergien ermitteln und nutzbar machen will. In einem Design-Based-Research Verfahren wird hier explorativ-qualitativ der Frage nachgegangen, wie mit freien Bildungsmaterialien bzw. OER (open educational resources) transformative Ansätze einer BNE im Schulalltag angebahnt werden können. Dieses Fortbildungsangebot wird dabei laufend weiterentwickelt.

Eingestiegen wurde damit, den Begriff OER (Open Educational Resources) vorab sehr kurz zu erläutern – OER in a Nutshell, sozusagen – um sicherzugehen, dass für die darauffolgende forschungsbasierte Gesprächsrunde alle Teilnehmenden eine Vorstellung davon haben. Dieses Fokusgruppengespräch war als Teil des Workshops so gestaltet, dass es einerseits einem gewinnbringenden Austausch zwischen den teilnehmenden Lehrkräften zu OER- und BNE-bezogenen Themen in deren Arbeitskontexten dienen konnte, und zugleich der Erhebung von Forschungsdaten für die Studie. Die angebotenen Gesprächsimpulse wurden von allen Teilnehmenden aktiv genutzt, sie brachten weitere, neue Impulse in die Diskussion ein und bereicherten diese lebhaft mit ihren Erfahrungen, Empfindungen und Gedanken.
Anschließend ging es in eine kurze theoretische Auseinandersetzung mit dem Konzept des transformativen Lernens. Zur didaktischen Orientierung für die Ermöglichung transformativen Lernens im Schulunterricht wurde dann das Modell des bildungstheoretisch begründeten Handlungsrahmens von Pettig (2021) vorgestellt.

Dieses Modell ist so konzipiert, dass es reflexives Umlernen und eine Haltungsbildung ermöglicht, ohne die Durchsetzung bestimmter Verhaltensweisen zum Ziel zu haben. Für die Konzeptualisierung zieht Pettig einen pädagogischen Lernbegriff heran, führt das Prinzip Aktion und Reflexion aus der „problemformulierenden Bildungsarbeit“ (Freire 1973), die Schritte des „transformative learning“ (Mezirow 1997) und die didaktischen Prinzipien Konstruktion, Rekonstruktion und Dekonstruktion aus der „systemisch-konstruktivistischen Didaktik“ (Reich 2002) zusammen und verbindet dies im Horizont einer emanzipatorischen BNE (Pettig 2021: 12). Ausgehend von einem nachhaltigkeits- und lebensweltbezogenen Problemfall als Lernanlass, werden Unterrichtssituationen kritisch, reflexiv und dialogisch gestaltet. Im Zentrum stehen die Ambivalenz und Widersprüchlichkeit einer nachhaltigen Entwicklung, nicht jedoch deren unmittelbare Auflösung durch vermeintlich richtiges Handeln (Pettig 2021:12). Letztlich geht es um ein mit- und voneinander Lernen in der dialogischen Auseinandersetzung, nämlich um ein gemeinsames Einlassen auf Dilemmata (nicht-)nachhaltiger Entwicklung und ein gegenseitiges Ergründen von Alternativen (Pettig 2021: 14).
In der aktiven Auseinandersetzung mit dem Problem sowie der Reflexion und Einordnung der dabei gewonnenen Erfahrungen rückt in den Mittelpunkt des Unterrichts die Aushandlung einer als offen und gestaltbar verstandenen Zukunft – und damit eben einer lebens- und erstrebenswerten Zukunft (Pettig und Ohl 2023: 8).
In Kleingruppen überlegten die teilnehmenden Lehrkräfte zunächst, für welche Themen bzw. Problemfälle als Lernanlässe dieses Modell im eigenen Schul- und Unterrichtskontext geeignet sei und sammelten erste Blitz-Ideen für eine eventuelle Umsetzung. Diese ersten Ideen nahmen sich unter anderem bildungsbezogene Gerechtigkeits- und Selbstbestimmungsfragen vor.
Exemplarisch wurde zunächst ein bereits existierender Unterrichtsentwurf entlang dieses Modells gezeigt, mit den teilweise freien Materialien dazu. Am Beispiel des Themenfelds Tourismus werden darin Impulse für Reflexionen zum „guten Leben“ gegeben und mögliche Facetten einer sozial-ökologischen Transformation handlungsorientiert diskutiert. In der Phase des Experimentierens haben die Schüler:innen darin durch eine Planung und Durchführung ihrer eigenen „Mikroabenteuer“ im Nahraum die Möglichkeit, Alternativen zu entdecken und zu erproben. (Coen und Eberth, 2023). Nach der Begutachtung der Materialien zu diesem Unterrichtsvorschlag ging es gemeinsam in eine kritische und produktive Auseinandersetzung damit. Die Lehrkräfte stellten sich der Frage, ob dieses Beispiel in ihre eigenen Schulkontexte adaptierbar wäre – und wenn ja, wie. Neue Impulse, beispielsweise das Philosophieren mit Kindern als eine sehr passende Methode dafür, wurden eingebracht und Schwerpunkte herausgearbeitet.



In einer längeren Arbeitsphase begannen die Lehrkräfte in kleinen Teams, ihre eigenen Beispiele einer Unterrichtssequenz entlang des Handlungsrahmens für transformatives Lernen zu entwickeln. Diese im Workshop initiierten Prozesse sollen nun weitergeführt werden, wobei, insbesondere für die Produktion der OER-Materialien, weitere Unterstützung seitens der Universität angeboten wird.
Der Workshop wurde im Zuge eines Dissertationsprojekts konzipiert, welches sich mit dem Potenzial von freien Bildungsmaterialien für transformative BNE beschäftigt und Chancen sowie Synergien zwischen OER und BNE ermitteln und nutzbar machen will. Im Zuge dieser Forschungsarbeit wird ein niedrigschwelliges und attraktives Angebot konzipiert und laufend weiterentwickelt, welches Lehrkräften den Handlungsrahmen für transformatives Lernen als didaktisches Modell zur Planung und Reflexion von Unterricht zugänglich machen und Impulse zur Erprobung im eigenen schulischen Kontext geben soll. Es soll dabei unterstützen, freie Materialien für transformatives Lernen im Unterricht hervorzubringen, zur kollaborativen Weiterentwicklung zu öffnen und im Schulkontext einzusetzen.
Im Wesentlichen wurde der Handlungsrahmen als Orientierung bei der Unterrichtsplanung von den teilnehmenden Lehrkräften für hilfreich befunden. Als besondere Herausforderung bei der Anwendung dieses Modells stellte sich allerdings die Identifizierung eines geeigneten Problemfalls dar. In der Weiterentwicklung des Fortbildungsangebots wird sich nun gezielt auch der Unterstützung hierbei gewidmet. In Planung ist außerdem ein Tandemformat mit Studierenden und Lehrkräften, um die Prozesse der Konzeption und Materialentwicklung für transformatives Lernen im Schulalltag nicht nur initiieren, sondern auch besser begleiten und gemeinsam abschließen zu können.
Literatur:
Eberth, Andreas, und Annette Coen. 2023. „Ein Mikroabenteuer planen und durchführen“. Praxis Geographie (1–2023):22–27.
Pettig, Fabian. 2021. „Transformative Lernangebote kritisch-reflexiv gestalten. Fachdidaktische Orientierungen einer emanzipatorischen BNE“. GW-Unterricht 1:5–17. doi: 10.1553/gw-unterricht162s5.
Pettig, Fabian, und Ulrike Ohl. 2023. „Transformatives Lernen für einen sozial-ökologischen Wandel“. Praxis Geographie (1–2023):4–9.
Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt moreBNE | Themenschwerpunkte: Bildung für nachhaltige Entwicklung, Maker Education, Medienpädagogik, Medienproduktion und Aktive Medienarbeit, Information and Media Literacy