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Gestaltungspraktische Übungen zu Figuren und Diversität

Wer könnte sich hier aufhalten? Welche Geschichten könnten sich hier abspielen? Vom Ort aus zu denken kann eine Möglichkeit sein, in Überlegungen zu Normen, Stereotypen sowie die Eindeutigkeit und Mehrdeutigkeit medialer Repräsentation bei Figuren einzusteigen.

Dieser Blogbeitrag stellt eine Auswahl an Methoden zusammen, die bei der Entwicklung von Lehrformaten und zugehörigen freien Bildungsmaterialien in von der Kunstpädagogik begleiteten Lehrveranstaltungen im SKILL.de-Teilvorhaben Text – Bild – Medien entstanden sind. Die Übungen wurden in interdisziplinären Seminaren erprobt, in denen Studierende aller Fächer gestaltungspraktische Zugänge für ihre Erkenntnisprozesse nutzen können sollen. Es sind daher auch Lehrende aller Disziplinen herzlich dazu eingeladen, diese Übungen und Materialien für die eigene Lehre zu nutzen.

Um die interdisziplinäre Anschlussfähigkeit der Übungen zu verdeutlichen, kommentiert Florian Zitzelsberger (Wissenschaftlicher Mitarbeiter für die Amerikanistik/Cultural and Media Studies im SKILL.de-Teilvorhaben Political Communication in the Digital Age) zwei Methoden, die bereits in einem Team-Teaching-Seminar von uns beiden erprobt wurden.

Methode 1: Orte mit Figuren beleben

Zwei Gruppen, zwei verschiedene Orte. Die Studierenden erhalten die Aufgabe, die Orte mit Figuren zu bevölkern. Dazu stehen ihnen zunächst Papier und Stifte (Bleistifte und Fineliner) zur Verfügung. Sie haben in der Gruppe gemeinsam Zeit, Figuren zu zeichnen und sie in die Orte einzusetzen. Bezugspunkt dieser Übung sind Wimmelbilder oder Wimmelbilderbücher, die gerade für Fragen der Diversität ein spannendes Analysematerial sein können.

Die Studierenden zeichnen die Figuren auf Papier und fotografieren sie mit einem Tablet, um sie anschließend auf einer kollaborativen Plattform (z.B. einem Miro-Board) auf den dort für die Methode vorbereiteten Hintergrund einzufügen.

Eine technische Lösung für das gemeinsame Besprechen und Arrangieren der Figuren im DiLab Lehrerzimmer der Universität Passau ist rechts im Bild zu sehen: Jede Gruppe verfügt zusätzlich zu den Tablets über einen Laptop, an dem das Positionieren und Skalieren der Figuren leichter fällt als am Tablet. Daran ist ein großer Bildschirm angeschlossen, der es der Gruppe ermöglicht, gemeinsam das Ergebnis anzuschauen und Zwischenschritte zu besprechen. Auch das Präsentieren für andere Gruppen ist hierüber möglich.

Material oder digitally enhanced? Dieser Schritt der Methode kann auch auf Papier durchgeführt werden. Der Schritt ins Digitale verändert jedoch die Prozesse und die Ausgangslage für die anschließende Reflexion. Beispielsweise ist das Skalieren von Figuren möglich. Auch könnte eine Figur kopiert und beliebig oft eingesetzt werden.

Was ist mit zeichnerischem Können? Eigene Grenzen bezüglich der Darstellungsfähigkeiten können gerade ein interessanter Anlass sein, über Lösungswege und deren Bedeutungen zu sprechen. In einer Seminardurchführung entschied sich beispielsweise eine Gruppe dafür, Strichmenschen zu zeichnen, um zeichnerischen Hürden aus dem Weg zu gehen.

Die Studierenden stellten dann allerdings fest, dass dies ein Weg sein könnte, Personen genderneutral darzustellen und über diese Mehrdeutigkeit Deutungsspielraum für Diversität zu erreichen und behielten die Darstellungsweise auch in der nächsten Phase bei.

In der nächsten Phase können die Studierenden auf die Bildersuche einer Online-Suchmaschine zurückgreifen, um Figuren zu ergänzen. Damit kommt ein weiterer Aspekt zur Reflexion ins Spiel: Wie suchen wir nach Figuren? Welche Suchbegriffe geben wir ein? Welche Ergebnisse bekommen wir zu unseren Suchbegriffen? Inwiefern lenkt oder bestimmt unser Ergebnis der ersten Phase die Suche? Welche Bilder wählen wir aus und warum?

Diese Übung wurde im Sommersemester 2022 im Blockseminar „What’s the Use? Design & Diversity“ eingesetzt, in welchem Studierende der Fächer Kunst und Englisch gemeinsam Möglichkeiten und Grenzen in der Repräsentation von Diversität produktiv erprobten.

Für Studierende der amerikanistischen Literaturwissenschaft ist der gestaltungspraktische Zugang ein Ansatz, der den Blick für ihre Analyse und Interpretation schärft, indem komplexe Zusammenhänge in einer Art erfahrbar gemacht werden, die in rein rezeptiven Annäherungen an Texte nicht gewährleistet ist.

So wird durch die Übung beispielsweise deutlich, wie Figuren im Verbund mit dem Setting – oder im gemeinsamen Spannungsfeld – eine Geschichte formen und inwiefern dies in Text-Bild-Medien multimodal geschieht. Dass die Darstellung von Diversität daher nicht rein an Figuren geknüpft ist, wird erst deutlich, wenn Erwartungshaltungen gebrochen werden. Neben der Frage, welche Figuren in die Umgebung „passen“, erlaubt die explorative Mediengestaltung nämlich, den Aspekt der „Passung“ selbst zum Gegenstand der Reflexion werden zu lassen. In diesem Sinne wird die Übung zu einer Auseinandersetzung mit der Zugänglichkeit und Aneignung sozialer Räume, gleichermaßen bezogen auf accessibility (wem ist es möglich, sich Raum anzueignen?) und Legitimität (wem ist es erlaubt, Raum einzunehmen?).

Studierende schaffen durch diese Übung also Experimentierräume, welche die Lesbarkeit des Individuums und seine Sinnhaftigkeit im Netzwerk kultureller Normen ausstellen, die narrativ und sozial über Räumlichkeit verhandelt werden. Daneben erlaubt die Übung Studierenden, durch die freie Positionierbarkeit der Figuren im Raum die Funktion von Absenzen oder Leerstellen in Narrativen der Diversität zu untersuchen.

Letztlich sind Entscheidungen des Einschlusses immer auch Entscheidungen des Ausschlusses. Selbst Teil dieses Selektionsprozesses zu sein stärkt ein Bewusstsein für Diversität über die Grenzen der Repräsentation – und des Repräsentierbaren – hinaus: Die Übung sensibilisiert Studierende nicht nur dafür, was (wie) erzählt wird, sondern wovon (warum) nicht erzählt wird.

Florian Zitzelsberger, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in SKILL.de für die Amerikanistik

Download der Bilder als ZIP-Datei
(Lizenz: CC-BY 4.0 Autorin: Dorothe Knapp, Universität Passau, SKILL.de)

Methode 2: Punkte

Auch die Arbeit mit dem Bilderbuch Punkte von Giancarlo Macri und Carolina Zanotti eignet sich als Ausgangspunkt für das gestaltungspraktische Erkunden medialer Repräsentation von Diversität. Im Bilderbuch werden alle Figuren als schwarze oder weiße Punkte (bzw. Kringel) dargestellt. Diese Gestaltungsentscheidung lädt bereits in einer rezeptiv-analytischen Betrachtung dazu ein, zu fragen, welche Aspekte der Figuren durch diese Merkmale wohl repräsentiert werden. Das Buch löst diese Frage auch über den Text nicht eindeutig auf.

Die Studierenden setzen sich in dieser Übung zuerst in Kleingruppen mit dem Buch auseinander. (Materialien hierzu sind hier [Link] verfügbar.) Anschließend entscheiden sie sich für eine Doppelseite, für die sie eine Alternative entwickeln möchten. Dazu stehen ihnen beispielsweise Blanko-Karten in DIN A6 und Fineliner in Schwarz und in verschiedenen Farben zur Verfügung. (Verschiedene Möglichkeiten zur Durchführung von Workshops zum Bilderbuch Punkte sind hier [Link] zu lesen.)

Bei dieser Übung kommen zum einen sowohl Bild als auch Text ins Spiel, zum anderen sind die Bilder nun (anders als bei Methode 1) in eine Erzählung eingebunden. In der anschließenden Reflexion kann also herausgearbeitet werden, wie verschiedene Kontexte (kulturelle Narrative, Kombination von Bildern oder von Bild und Text, Einbettung in eine Einzelerzählung im Bilderbuch) die Bedeutung einzelner Bilder mit formen und wie dargestellte Figuren ‘gelesen’ werden.

Anmerkung: Das Buch ist mittlerweile in einer überarbeiteten Neuauflage verfügbar, in der sowohl Texte als auch Bilder zum Teil stark verändert wurden. Beide Versionen im Rahmen der Übung zu vergleichen, erwies sich in unserer Erprobung als sehr gewinnbringend, da die Studierenden die Bedeutungsunterschiede im Vergleich beider Versionen und ihrer eigenen Variante diskutieren können.

“Die Übung zum Buch Punkte wirft viele Fragen zu literaturwissenschaftlichen Konzepten (Was macht eine Figur aus? Inwiefern und was können Punkte in ihrer Abstraktheit überhaupt repräsentieren?) sowie zu Möglichkeiten der Repräsentation von Diversität auf.

Dabei fällt das grundlegende Gestaltungsmerkmal des Buches ins Auge, nämlich die Arbeit mit einer binären Struktur, gleichermaßen bezogen auf Layout und Format des Buches, das zunächst die unterschiedlichen Punkte auf die linke und rechte Seite verteilt und damit voneinander trennt, und die Punkte selbst, die einen schwarz/weiß-Kontrast bilden (bzw. die gefüllt oder ungefüllt in Erscheinung treten). So lassen sich anhand des Buches kulturelle und soziale Strukturen erarbeiten, in die Diskurse um Diversität oft eingebunden sind.

Die Punkte erlauben durch die Art, wie sie mit ihrer Verschiedenheit umgehen (und wie Grenzen errichtet und auch aufgelöst werden), über die Relationalität von Selbst und Anderem – self and other – zu reflektieren. Die Punkte verfügen zudem über unterschiedliche Handlungsoptionen, es besteht ein Machtungleichgewicht. Aspekte der agency, Hegemonie und Marginalisierung können anhand des Buchs also ebenso diskutiert werden. Die Übung erlaubt Studierenden nun durch gestaltungspraktische Überlegungen, die Präsenz dieser Diskurse im Buch aufzudecken, indem Änderungen vorgenommen werden, die diese Diskurse anreichern, umdeuten oder untergraben.

Durch das Entwerfen und Erproben von Alternativen wird die Normalisierung der über Punkte repräsentierten Strukturen sichtbar gemacht – Erzählmuster und kulturelle Grundannahmen, die oft unreflektiert bleiben bzw. die womöglich im konkreten Beispiel des Buches Punkte anders gar nicht erst gesehen werden. Insofern sensibilisiert die Übung Studierende dafür, wie teils stark reduzierte Gestaltungsmöglichkeiten im Bilderbuch bereits viel (und über den Text hinaus) erzählen können und sich aus kulturellen Narrativen speisen.

Mit Blick auf die Anschlussfähigkeit an diese Übung lässt sich daneben festhalten, dass die Entwicklung einer reflektierten Haltung im Abstrakten durch eigene Konstruktions- und Adaptionsprozesse einen Mehrwert darstellt für die analytische Auseinandersetzung mit konkreten Figuren, denen die hier dargestellten Möglichkeiten der Punkte in der Regel gegeben sind und die diese mit weiteren Attributen (z.B. visuell) anreichern oder überlagern.”

Florian Zitzelsberger, Wissenschaftlicher Mitarbeiter in SKILL.de für die Amerikanistik

Methode 3: Figurenkarten

Mit diesem Set an Figurenkarten, das aus einer Zufallsauswahl an Figuren von Open Peeps erstellt wurde, lassen sich verschiedene kleine Übungen durchführen, um sich verschiedene Mechanismen der Bedeutungsgenerierung und -zuschreibung bewusst zu machen. Exemplarisch soll hier eine Idee vorgestellt werden.

Wie hat die Person auf der Karte ihr berufliches Ziel erreicht? Erzähle die Geschichte! Die Teilnehmenden ziehen verdeckt jeweils eine Figurenkarte und haben eine oder zwei Minuten Zeit, sich eine Geschichte zu überlegen, die sie anschließend der Gruppe erzählen.
Dadurch, dass die Zeit zum Überlegen kurz ist, greifen sie dabei wahrscheinlich auf Stereotype und Schemata zurück, was Berufswahl und Lebensweg angeht – sowohl beim ‘Lesen’ der Figuren als auch bei der Konstruktion der Geschichte. Dies kann anschließend reflektiert werden.

Um den Aspekt Framing zu betonen, kann die Aufgabenstellung dahingehend konkretisiert werden, dass z.B. gefragt wird, welches Fach die Figur unterrichtet. Damit wird auf eine Berufsgruppe eingegrenzt und die Bilder werden anders betrachtet.

Tipp: Wenn die Übung in einen Kurs eingebettet ist, der die Einbindung von Figuren in Erzählungen thematisiert, können zusätzlich zur Übung Modelle wie das Aktanten-Modell (Greimas) von oder die Heldenreise (Campbell) eingeführt werden – entweder im Vorfeld zur Unterstützung der Erzählungen oder als Bezugspunkt der Reflexion im Anschluss.

Die Übung kann beliebig erweitert werden. Interessant kann es auch sein, zwei Figuren in eine Erzählung einzubinden oder Motivationen, Ziele, Hürden und Widersacher vorzugeben, um zu erkunden, welche Vorstellungen von Handlungsoptionen entstehen. Haben die Figuren zum Beispiel selbst agency und verfügen über Ressourcen, um Hindernisse zu überwinden, oder werden ihnen andere Figuren als Helfer*innen zur Seite gestellt?

Mögliche Reflexionsfragen:

  • Welche Merkmale der Figur haben mich dazu angeregt, diesen Beruf auszuwählen und diesen Werdegang zu erzählen?
  • Welche Motivation habe ich der Figur gegeben? Wie kam ich auf diese Idee? Gibt es einen Zusammenhang zu stereotypen Vorstellungen oder Klischees?
  • Welche Widersacher oder Hürden habe ich der Figur entgegengestellt? Wie kam ich auf diese Idee?
  • Gibt es in den Erzählungen der Gruppe wiederkehrende Muster und Schemata?
  • Gibt es unerwartete Brüche? Welche Erwartung hätten wir beim Zuhören eigentlich gehabt?

(Lizenz: CC0)

Das Kartenset als PDF ist zum Ausdrucken von jeweils 4 Figurenkarten auf DIN A4 im Hochformat vorgesehen. Passend dazu sind die Rückseiten der Karten für den doppelseitigen Druck angelegt.