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Möglichkeiten erkennen und nutzen: Von what’s the use? zu uses of

Das Seminar „What’s the Use? Design & Diversity“

Ein Beitrag von Dorothe Knapp und Florian Zitzelsberger

Dieser Blogbeitrag begleitet die Dokumentation des Blockseminars „What’s the Use? Design & Diversity“, das im Sommersemester 2022 an der Universität Passau als Kooperation der Professur für Amerikanistik/Cultural and Media Studies und der Professur für Kunstpädagogik und Visual Literacy im Rahmen des Projektes SKILL.de stattfand. Verschiedene gestaltungspraktische und medienanalytische Übungen dienten darin als Gesprächs- und Reflexionsanlässe über Diversität zwischen gelebter Realität und den Möglichkeiten und Funktionen medialer Repräsentation: Was haben Design und Diversität miteinander zu tun? Wie entstehen Möglichkeiten des Denkens und Handelns und wie werden sie medial transportiert und reproduziert? Warum sollten wir in der Lehrkräftebildung (mehr) darüber nachdenken und was kann unsere Rolle in diesen Prozessen sein?

Das Seminar setzte dabei exemplarisch einen Fokus auf Bilderbücher im Spannungsfeld von Normativität und Diversität – begleitet von der Frage, wie uns insbesondere Information and Media Literacy dabei helfen kann, über den Zusammenhang zwischen (medialer) Form und (sozialer) Norm zu reflektieren und dadurch die Schnittstelle von Design und Diversität besonders für Bildungskontexte in Theorie und Praxis nutzbar zu machen – und das nicht nur medienanalytisch, sondern auch durch eigenes gestaltendes Handeln. Diese Perspektive von agency und empowerment ist für Erfahrungsräume rund um Information and Media Literacy zentral, wenn es darum geht, die eigene Profession als Lehrkraft in ihrer Gestaltungsmacht und ihren Gestaltungsmöglichkeiten reflektiert wahrzunehmen und einzunehmen.

Titelgebend für das Seminar „What’s the Use? Design & Diversity“ ist ein Ausspruch im Englischen, der Frustration, wenn nicht sogar eine gewisse Resignation ausdrückt. What’s the use – was soll’s? Wir können die Frage ausweiten und nach den uses of fragen, also nicht nur der Nützlichkeit bzw. Sinnhaftigkeit (oder Nutzlosigkeit bzw. Sinnlosigkeit – bringt etwas denn überhaupt irgendetwas?), sondern pragmatisch orientiert auch nach dem Nutzen als solchen (was kann etwas in einem bestimmten Kontext überhaupt leisten?). Eine Frage nach den uses of verlangt eine Weiterführung des Gedankens, während what’s the use? durch das Fragezeichen einen solchen Anschluss zunächst unterbindet. Das of vermag es also, den negativ besetzten Ausspruch ins Positive zu wenden. Anders ausgedrückt, schafft diese Ergänzung einen Perspektivwechsel: aus Perspektivlosigkeit werden Möglichkeiten geschöpft, der Blick wird von einem als nicht-veränderbar wahrgenommenen Zustand – was soll man auch tun, wenn es scheinbar keinen Sinn hat – auf das Potenzial gerückt, das sich daraus entfalten kann. Demnach weitet das of die Phrase nicht nur sprachlich aus, indem es ein Objekt fordert, sondern auch zeitlich. Sich den uses of design and diversity zuzuwenden bedeutet also, beide als fortlaufenden Prozess zu verstehen, an dem wir selbst nicht passiv beteiligt sind, sondern den wir aktiv mitgestalten können.

„What’s the Use?“ ist gleichzeitig der Titel einer 2019 erschienenen Monografie von Sara Ahmed, in der sie den „uses of use“, wie es im Untertitel heißt, auf die Spur geht. Eine zentrale Annahme Ahmeds ist dabei, dass es einen Zusammenhang zwischen Form und Funktion gibt. Ein Beispiel hierfür bilden alltägliche Objekte wie eine Kaffeetasse (bei Ahmed fällt dieses Beispiel unter die Kategorie der used things),1 deren Form oder Gestalt eine gewisse Funktion nahelegt und eine Handlung einlädt: man kann die Tasse mit einer Flüssigkeit befüllen und zum Trinken nutzen; durch ihren Henkel kann man die Tasse anfassen, ohne sich durch den potenziell heißen Inhalt zu verbrennen. Nun ist es aber nicht so, dass Tassen in der hier beschrieben Form einfach existieren – sie werden in ihrer konkreten Form geschaffen, um diesen Zweck zu erfüllen. Wofür etwas gebraucht wird, was also der intendierte Nutzen einer Sache ist, kann die Form bestimmen.2 Die beiden Perspektiven sind miteinander verschränkt, beide Prozesse laufen gleichzeitig ab, und so bilden sich mit der Zeit Konventionen aus: Wir wissen, wie eine Tasse auszusehen hat, um ihre Funktion zu erfüllen; wir wissen auch, wie wir ein derart gestaltetes Gefäß nutzen können. Erfüllt die Tasse nun ihren Zweck nicht (mehr), benutzen wir sie vermutlich auch nicht (mehr) – und womöglich sehen wir sie als kaputt an.

Dieses Beispiel zeigt, wie Form und Norm – hier die Konventionen um den Gebrauch von Tassen – zusammenhängen können. Ahmed macht in ihrem Buch anhand solcher Beispiele jedoch deutlich, dass dieser Zusammenhang keineswegs absolut ist und sich dort, wo Normen etabliert, ausgehandelt oder gesetzt werden, immer auch Möglichkeiten der Abweichung, des Normverstoßes oder der Normverweigerung, ergeben.3 Wir können somit die Frage nach den uses of auf die kaputt geglaubte Tasse übertragen, um erneut einen Perspektivwechsel anzustoßen: auch wenn die Tasse sich nicht mehr dazu eignet, aus ihr zu trinken, eröffnen sich doch andere Möglichkeiten ihrer Nutzung – diese neuen Möglichkeiten treten besonders dann in Erscheinung, wenn andere scheinbar verblassen. Aber vielleicht besteht die Leistung eines solchen Gedankenexperiments gerade auch darin, aufzuzeigen, dass wir die Tasse vielleicht auch schon vorher anders hätten verwenden können, denn „intentions do not exhaust possibilities“.4 Ahmed lädt uns dazu ein, der Welt anders zu begegnen, indem wir Dinge in einer Art nutzen, die von dem abweicht, was als (vor)gegeben angesehen wird.

Ahmeds Konzept und die hier beschriebene Ausweitung – von what’s the use? zu uses of – können als wegweisend für das in der angehängten Dokumentation vorgestellte Seminarkonzept betrachtet werden. Im Seminar ging es maßgeblich darum, den Studierenden einen solchen Perspektivwechsel zu ermöglichen und sie im Sinne einer Information and Media Literacy dazu zu befähigen, mediale Diskurse um Diversität besser einordnen zu können, besonders in Bezug auf ihre zukünftige Rolle als Lehrkräfte, die in ihrem Beruf ständig mit unterschiedlichen Menschen zu tun haben werden. Das fachliche Angebot, mit dem wir als Lehrende in der universitären Lehrkräftebildung unsere Studierenden auf ihrem Weg dorthin unterstützen können, steht dabei vor einigen Herausforderungen, denn in den beteiligten Disziplinen der Amerikanistik und Kunstpädagogik begegnen uns sowohl in der Theorie als auch in der Praxis, im Dialog von Medienrezeption und -produktion, immer wieder (Gestaltungs-)Probleme im Umgang mit Diversität. Angefangen bei der Sprache,5 mit der wir gesellschaftlicher Vielfalt gegenübertreten, sie anerkennen und würdigen sowie manche sozialen Formationen oder individuellen Voraussetzungen erst artikulieren und dadurch verständlich machen können; über die Frage nach der Repräsentation von Diversität, ohne dabei auf stereotype Darstellungen zurückzufallen; bis hin zur Zugänglichkeit und Barrierefreiheit (im Sinne der accessibility) der Medien, in denen wir solche und andere Repräsentationen vorfinden und durch die wir ein Bild von ‚Welt‘ konstruieren und damit unsere gelebte Realität erschließen – Diversität kann verunsichern. Im Zusammenhang von Design und Diversität können wir die Frage nach den uses of folglich nicht nur dahingehend verstehen, wie etwas genutzt wird oder in Erscheinung tritt, sondern auch, für wen und wem mediale wie gesellschaftliche Teilhabe möglich ist bzw. ermöglicht wird.6

Über das Seminar hinweg wurde deutlich, dass auch das Ziel eines solchen Kurses sein kann und vielleicht sogar sein muss: Verunsicherung zulassen und aushalten; erkennen, dass es nicht immer ein passendes Schema gibt, kein ‚richtig‘ oder ‚falsch‘. Anstatt aber dieser Verunsicherung zu erliegen und sich zu fragen what’s the use?, war es Ziel des Seminars, auch an dieser Stelle zur Frage nach den uses of – im Sinne neuer Möglichkeiten oder Zugänge – zu gelangen. In der Seminardokumentation stellen wir einen integrativen Ansatz vor, der theoretisch-reflexive, medienanalytische und gestaltungspraktische Aspekte im Umgang mit Diversität in Bilderbüchern vereint und damit Diversität nicht rein auf inhaltlicher Ebene zu erschließen sucht, sondern als gelebte Realität ins Zentrum rückt und die angestrebte Perspektivierung erfahrbar macht: Beim Gestalten eigener Bilderbücher entwickelten Studierende selbst Varianten und Alternativen, um zu sehen, wie sich Gestaltungsentscheidungen auf die Repräsentation von Diversität auswirken, wie bereits kleine Eingriffe und Änderungen die Bedeutung im Verhältnis von Bild und Text stark verändern können. In anderen Worten: Wie verhält sich Form zu Norm bzw. wie können sich Form und Norm zueinander verhalten, wenn es Ziel sein soll, die Norm in ihrem hegemonialen Anspruch oder ihrer Deutungshoheit zu hinterfragen oder andere Möglichkeiten der Repräsentation und Identifikation zuzulassen – bewusst vom rechten Weg abzugehen?7 Das Erkennen solcher Möglichkeiten ist selbst nicht einfach; noch schwieriger ist es wohl, neue Möglichkeiten auch zuzulassen, denn sie konfrontieren uns mit unseren eigenen Annahmen und eingefahrenen Denkmustern, drohen, Selbst- und Fremdbilder umzuwerfen – doch wie die Möglichkeiten, eine kaputten Tasse anders zu nutzen, kann auch dieses Moment der Desorientierung generativ sein. Vielleicht geht es auch gerade darum: Diversität erfordert es nicht zwingend, anders zu denken; die Begegnung mit oder Erfahrung von Diversität erlaubt uns jedoch neue Möglichkeiten des Denkens, selbst wenn wir davon ausgehen, Tassen wären rein zum Trinken geeignet.

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Lade hier die Seminardokumentation herunter:


1 Ahmed, Sara. What‘s the Use? On the Uses of Use. Duke University Press, 2019. Hier: S. 38, ferner S. 31-32.

2 Ahmed: S. 24-26.

3 Ahmed begründet dies darin, dass Form oft eine gewisse Funktion suggeriert, alle möglichen Funktionen jedoch nicht erschöpft, denn „[u]se does not necessarily correpond to an intended function“ (S. 24) – es gibt nämlich immer auch andere als die intendierten Verwendungsweisen. Im letzten Kapitel ihres Buches konzeptionalisiert Ahmed diese Idee als queer use, eine Abkehr von „intended functionality“ – hier wird use also gegen Konvention gewendet, um neue Potenziale zu eröffnen. In der Folge verbindet Ahmed queer use mit Konzepten wie reuse, refusal, vandalism, survival und creativity. Insofern ist queer use nicht nur ein theoretisches Konstrukt, sondern gelebte Realität derer, die Widerstand gegen ein Normensystem leisten oder die seine Normen nicht reproduzieren können. In der Seminardokumentation greifen wir den Aspekt des queer use auf und bauen darum unsere Methode für die gestaltungspraktische Aufgabe der Studierenden: bewusst andere Wege einschlagen, um den normalisierten Status gesellschaftlicher Konventionen sichtbar zu machen und seine Ein- und Ausschlüsse für einen reuse von Diversität in Bilderbüchern, jenseits stereotyper Darstellungen, nutzbar zu machen, indem sie als Öffnung betrachtet werden. Das Nachdenken über Normen und Freiräume sowie die praktische Auseinandersetzung damit laden uns ein, Fragen zu stellen und uns eine veränderte Welt – im Sinne eines what if-Szenarios – vorzustellen: ‚Was passiert, wenn Dinge auf einmal möglich oder zugänglich werden, sie gewisse Personen(gruppen) nicht länger einschränken?‘

4 Ahmed: S. 26.

5 Eine gewisse Unsicherheit bei inklusivem Sprachgebrauch lag sicher auch in der Herausforderung eines bilingualen Settings begründet. Nicht alle Teilnehmenden studierten Englisch (bzw. nicht im Hauptfach) und durch den konstanten Wechsel zwischen den Sprachen wurde auch deutlich, wie Ausdrucksschwierigkeiten teilweise erst in der Übersetzung entstehen – so beispielsweise bei der Verwendung genderneutraler Pronomen, die im Englischen (z.B. they) und Deutschen (z.B. Neopronomen) unterschiedlich realisiert werden.

6 Ahmed: S. 59; siehe ferner Ahmeds Ausführungen zu “intended functionality”: „Intended functionality can be a reference not only to what something is for but who it is for“ (S. 29).

7  Die Wegmetaphorik ergibt sich in der Zusammenschau der theoretischen Impulse Ahmeds, deren Denkfigur „the more a path is used, the more a path is used“ (u.a. S. 40) im Seminar in der Tat wegweisend für das Nachdenken über Normalisierungsprozesse war, und dem Referenzpunkt für die gestaltungspraktische Aufgabe der Studierenden, einem Retelling des Rotkäppchenstoffs. Die Methode zur Pfad-Metapher wurde bereits an anderer Stelle im DiLab-Blog vorgestellt. Die Übung ist für verschiedene Themen anschlussfähig und wurde in diesem Seminar eingesetzt, um über die Entstehung und Verfestigung sozialer Konventionen durch Wiederholung – im Sinne der Performativität nach Judith Butler – zu sprechen.